Ein Artikel der Fragen aufwirft!
Erscheinen in der Braunschweiger Zeitung
"Abenteuer mit Pappkameraden
19.03.2017 - 20:23 Uhr
Braunschweig Papiertheater dominieren Braunschweigs „Erzählfestival“ – anrührend, aber überkommen.
Geschichten zu erzählen, ist eine der ältesten und liebsten Beschäftigungen des Menschen. Buch, Film und Theater sind die allgegenwärtigen Medien dieser Leidenschaft. Doch das „Braunschweiger Erzählfestival“ zeigte am Wochenende zum zweiten Mal, dass es auch andere, heute weniger bekannte Formen des Erzählens gibt: kunstvollen mündlichen Vortrag, Papier- und Schattentheater.
Die Initiatoren Elvira Wrensch, Brigitte Lehnberg, Susanne Schuchard und Thomas Hirche vom Kult-Theater hatten ein zweitägiges Programm für Kinder und Erwachsene zusammengestellt. 13 Kleinkunstgruppen aus ganz Deutschland bespielten vier Bühnen, die im Kult-Theater und in den angrenzenden Atelierräumen auf dem Gelände des Schimmelhofs eingerichtet worden waren.
Geschichtenerzähler trugen Märchen, Fabeln und andere Erzählungen vor. Papiertheater führten selbstgeschriebene und adaptierte Stücke wie „Rotkäppchen“ und „Wallenstein“ auf. Sogar eine Pappfigürchen-Operninszenierung von Albert Lortzings „Zar und Zimmermann“ war zu sehen.
So eine Papiertheater-Aufführung ist schon eine putzige Sache; die Atmosphäre ein bisschen wie an Heiligabend, wenn die Kinder unterm Weihnachtsbaum Gedichte vortragen. Nach dem ersten Schmunzeln bleibt allerdings die Frage, warum man ernsthaft dabei zuschauen sollte, wie sich ein Dutzend starrer Pappfigürchen zu einer auf 45 Minuten eingedampften, scheppernd aufgenommenen Version von „Zar und Zimmermann“ in einem beleuchteten Lattenkasten von links nach rechts schiebt, wenn man auch ins „richtige“ Theater gehen könnte?
Dass erwachsene Menschen hinter einem schwarzen Tuch, das sie vor den Blicken des Publikums versteckt, mit konzentrierter Mine Pappfiguren auf der Stelle hin und her wackeln lassen, um anzuzeigen, welche Rolle gerade spricht, hat etwas rührend Infantiles, Archaisches. Hat das mit dem Wunsch einer überforderten Gesellschaft nach neuer Einfachheit zu tun? Mit Nostalgie? Oder dem Interesse für Alltagshistorie?
Die Modelltheater fürs Kinderzimmer kamen Anfang des 19. Jahrhunderts auf und spiegeln die enorme Theaterbegeisterung sowie die Bedeutung kultureller Erziehung in der damaligen Zeit wider. Sie dienten dem Nachstellen zeitgenössischer Bühnenstücke, der spielerischen Aneignung von Bildung also.
Als Objekte der Kulturgeschichte sind Papiertheater durchaus interessant. Und in Braunschweig mussten sich die Spieler nach jeder Aufführung den neugierigen Fragen der Besucher stellen. Doch für unterhaltende Darbietungen vor einem öffentlichen Publikum eignet sich diese Kleinkunstform leider nicht so recht. Schon der Bühnenausschnitt ist ja viel zu klein für mehr als eine Handvoll Zuschauer. Außerdem ist der Zugang zu bewegten Bildern heute viel einfacher als vor 200 Jahren.
Fast alle Gruppen erzählen, dass ihre Begeisterung für das Papiertheater in Kindertagen begonnen habe. Sie erzählen auch mit leuchtenden Augen vom Basteln der Figuren und Kulissen. Vom Planen des Ablaufs. Und von lustigen Aufführungsabenden im Familienkreis.
Die Papiertheater machten am Wochenende den größten Teil des Festivalprogramms aus. Vielleicht sollte man sie aber besser im privaten oder musealen Rahmen belassen und im nächsten Jahr mehr Erzähler zum „Erzählfestival“ einladen."
Theater ist der seligste Schlupfwinkel für diejenigen, die ihre Kindheit heimlich in die Tasche gesteckt und sich damit auf und davon gemacht haben, um bis an ihr Lebensende weiterzuspielen.
Max Reinhardt
www.papiertheater-heringsdorf.de
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