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wie wird man Papiertheateraner - ein Erfahrungsbericht
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Klaus Beelte Offline
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****

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Registriert seit: Jul 2010
Bewertung 1
Beitrag: #1
wie wird man Papiertheateraner - ein Erfahrungsbericht
Es war einmal ...

Doch soll dies kein Märchen werden, sondern ein Kurzbericht, warum jemand, der zwar gern ins Theater geht, aber sonst nichts mit Theater zu tun hat, ausgerechnet das "Papiertheater" zu seinem Hobby erklärt.

Unser Sohn mag etwa 4 Jahre alt gewesen sein und besaß natürlich auch Kasperle-Figuren. Doch irgendwie kam nie ein rechtes Stück zustande; sein Spiel konnte weder Freunde noch Eltern dauerhaft begeistern und unsere elterlichen Versuche fanden meist auch nur wenige Minuten die Gunst geneigter Zuschauer. Vor dem Kind allein zu spielen, war für alle beteiligten recht langweilig, und seine Freunde fanden anderes Spielzeug im fremden Kinderzimmer viel interessanter.

Seinerzeit - in den 70ern - ging mir die Idee durch den Kopf, man müsse mit dem Kind anders Theater spielen, viel kleiner und vor allem so, daß der Akteur und der Zuschauer das Spiel sehen können oder beide gleichzeitig unter Sicht ihr Spiel gestalten. Ob ich in meiner eigenen Kindheit selbst solch Theaterspiel oder auch nur ähnliche Bühnen gesehen habe, vermag ich nicht zu sagen, doch meine Vorstellung war nun, irgendwie solch eine kleine Bühne zu fertigen. Wenn man sich einige Hintergrund- und Seitenbilder selber malt und als "Schauspieler" Abbildungen von Figuren aus Bekleidungs-Katalogen oder aus Zeitschriften ausschneidet und stabilisiert, diese dann auf Pappstreifen klebt, um sie - vor der Bühne sitzend - von der Seite ins Spiel zu führen, müßte man eigentlich alles mögliche spielen können: Märchen, Geschichten aus Kinderbücher usw.

Als Bühne sollte uns der schmucke Holzkasten eines alten, ausgeschlachteten Röhren-Radios dienen. Der vorn umlaufenden, ca. 3 cm breiten Blendstreifen, der früher die Ansätze der Technik und die mit Stoff bespannten Lautsprecherplatte abdeckte, sollte das eigentliche Bühnenportal sein, hinter dem es galt, kleine Lämpchen und Kabel zur Batterie anzubringen. Eine unter die Decke geschraubte T-Führung für Gardinen nahm den Vorhang auf, und mehrere dahinter deckennah quer gespannte Schüre aus dünnem Paketband hatten die Aufgabe, die Kulissen zu halten. Die seitwärtigen Rahmenaussparungen für die vormals dort unter Plastikgittern angebrachten Lautsprecher wiesen sich als ideale Einstiegsfenster für die "Schauspieler".

Ein Wolf war bald gefunden und ausgeschnitten, auch ein Mädchen mit Korb unter dem Arm und selbst ein im Wald stehendes Haus fand sich irgendwann. Nun, das eine war ein Hochglanzbild, der Wolf sehr klein und schwarz-weiß und das Mädchen paßte zu keinem von beiden. Eine im Bett liegende Großmutter war nicht zu finden, es fehlte der Jäger und die Seitenkulissen wurden nie fertigt, so daß Rotkäppchen zeitlebens keine Gelegenheit fand, sich auf dieser sonst wunderschönen Bühne zu präsentieren. Noch viele Jahre stand diese Ex-Radio-Bühne unfertig im Keller, und bei jedem Anblick ging mir ein von bunten Bildern begleitetes "Du wolltest doch mal..." durch den Kopf.

Im ersten Drittel der 80er Jahre waren meine Frau und ich auf "Zauberflöten-Tripp", d.h. wir nahmen jede Zauberflöte mit, derer wir habhaft werden konnten: die Aufführungen im Kieler Opernhaus, im Folge Jahr in Lübeck, auf der Freilichtbühne in Eutin, diverse Schulvorführungen bis hin zu einer plattdeutschen Aufführung in Husum - und "Die Zauberflöte auf dem Papiertheater" in einem Gewölbekeller in Kiel.
Nicht wissend, was dort auf uns zukam, erlebten wir auf einer Bühne in der Größe eines Fernsehgerätes und mit handhohen, von der Seite an Stäben geführten Flachpapier-Figuren unsere erste Papiertheater-Aufführung. Wir waren begeistert und schwelgten sehr lange hiervon und wieder kam dieses "Du wolltest doch mal...".

1986 stand ich durch meine anstehende Meisterprüfung sehr unter Druck. Zwischen der theoretischen und der praktischen Prüfung lagen drei Wochen und ohne mein Wissen hatte mich meine Frau - damit ich auf andere Gedanken komme - bei der örtlichen Volkshochschule zu einem über drei Abende laufenden Kurs '"Wir bauen ein Papiertheater" angemeldet. Dozent war jener Herr, dessen Aufführung wir einige Jahre vorher gesehen hatten.
Im Kurs wurde nicht nur gebastelt, sondern sehr viel Theorie über die Geschichte des Papiertheaters und über frühere und heutige Bezugsquellen, Spielmöglichkeiten und -grenzen vermittelt. Der alte Reiz war wieder da, jetzt aber nicht mehr als "Du wolltest doch mal...", jetzt als "Du wirst!"

Kurzum, im Spätjahr 1986 entstand in Heimarbeit unsere eigene Bühne und am 8.Dez.1986 gaben wir mit einer Kurzfassung (35 Min) von "Hänsel und Gretel" nach Humperdinck und flatternden Gefühlen im Bauch unser Bühnendebüt. Und da diese Welturaufführung im Rahmen einer Weihnachtsfeier stattfand, an der auch etliche mehr oder weniger stark Hörgeschädigte teilnahmen und diese auch den Inhalt verstehen sollten, wurde das Libretto - je drei Zeilenweise - mit Overhaed-Projektor oberhalb des Proszeniums sichtbar gemacht. Wir gehen davon aus, daß dies die wohl weltweit erste Papiertheater-Produktion mit Obertitel war.
Dem Bayerischen Fernsehen war dieses Novum immerhin einen 14 minütigen Filmbericht in der Sendereihe "Sehen statt Hören" wert.

Den aktiv mitspielenden Sohn führte der Zivildienst nach Süddeutschland, so daß vorerst keine großen Stücke mehr folgten. In dieser Zeit konnten wir aber dennoch mit "Dornröschen" nach Grimm und dem Andersen-Märchen "Der Tölpelhans" etliche Kinder erfreuen.

Mit selbst gezeichneten Figurinen und in teils selbst gefertigten Kulissen wurde 1996 Mozarts "Zauberflöte" ins Repertoire genommen und seit 1998 spielen wir unter Verwendung einer historischen Tonaufzeichnung, die im Jahre 1928 als "Kurzoper für die Heimbühne" heraus gebracht wurde, Webers "Freischütz“. Seit Herbst 2002 runden "Max & Moritz" in einer schmissigen Musicalversion, die nicht nur Kinder begeistert, das Programm ab. Hierzu wurden alle Figuren und Kulissen selbst gefertigt.
Bei diesen Spielen ist praktisch die ganze Familie beteiligt: die Figuren werden durch Vater Klaus und Sohn M. geführt, die Ehefrau und Mutter E. und die Gattin des Juniors, S., assistieren vor und hinter der Bühne, der dreijährige Enkel Bennet wird demnächst die Einlasskontrolle und Platzanweisungen durchführen. Die Musik und Textwiedergabe der Stücke erfolgen vom Tonträger.

Gespielt wurde bisher zumeist in eigenen Räumen, jedoch gab es auch Gastspiele im Kieler Umland sowie in Lübeck, im Knochenhaueramtshaus zu Hildesheim und im Schloß zu Wolfenbüttel. Während der jährlich stattfindenden „Internationalen Papiertheatertreffen" in Preetz, dem weltweit größten Festival seiner Art, fanden die Musikstücke bereits in etlichen Aufführungen ihre Anerkennung durch sachkundiges, internationales Publikum.
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 03.02.2011 11:41 von Klaus Beelte.)
02.02.2011 23:32
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die amelie
Nicht registiert

 
Beitrag: #2
RE: wie wird man Papiertheateraner - ein Erfahrungsbericht
was für ein feiner bericht, lieber klaus beelte!


die sache mit dem radio-theater erinnert mich zwar ein wenig an otto waalkes "sendung für das aufgeweckte kind": "...und jetzt zeig ich euch, wie wir aus papis stereoboxen zwei dufte hamsterkäfige basteln" Big Grin, aber ein "schmucker holzkasten" gibt sicherlich ein würdiges gehäuse für eine kleine zauberbühne ab. so hätte ich es auch gesehen!

das problem mit der im bett liegenden großmutter ist bei mir übrigens auch grade aktuell. *kicher. außerdem das problem, dass im papiertheater-satz, den ich erstanden habe, das rotkäppchen nur in einmaliger ausführung vorhanden ist. ich also grade an einem rotkäppchen skizziere, das zur "aber großmutter, warum hast du denn so große....?"-szene passt - also in entsprechender haltung und mit genügend dramatischer gestik.

das so hinzukriegen, dass es mit den bereits vorhandenen figuren möglichst aus einem guss aussieht, ist alles andere als einfach. da bin ich noch am tüfteln. Dodgy

bei dieser gelegenheit auch gleich nochmal herzlichen dank für die liebe begrüßung andernorts und das oriental-material-angebot! ich fühl mich hier schon jetzt bestens aufgehoben!


liebe grüße,

die amelie
Hinweis Administrator: Thema geteilt, Diskussion zur Großmutter bei Rotkäppchen wird hier weitergeführt
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 07.06.2011 14:30 von Martin Fischer.)
06.03.2011 18:29
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